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Matthias Kaserer

Bauen und Konstruieren als lustvolles Lernen




Kinder erobern sich die Welt selbsttätig und wollen sie mit ihren eigenen Händen begreifen und gestalten. Dabei sind das Spiel, die Bewegung und die Wahrnehmung ihre (Hilfs-)Mittel.

Unsere Lebenswelt macht es den Kindern nicht leicht, ihre Sinne vielfältig zu benutzen. Rumpf(1) spricht von einer Verkümmerung der Kinderumwelten, in denen der Leib zur Knopfdruckprothese zu schrumpfen droht. In der aktuellen Bildungsdiskussion wird häufig der Eindruck vermittelt, dass es vor allem um kognitive Defizite der Kinder geht. Dass der Mensch mit Kopf, Herz und Hand lernt (J. H. Pestalozzi) und „der Körper nicht das Transportmittel für den Kopf" ist (Kahl)(2), wissen wir zwar, scheinen es im Schatten von PISA aber schon mal zu vergessen.

Lernen und Bildung müssen sich an den Tätigkeiten des Kindes orientieren. Umso bedeutsamer ist es, kindliche Grundbedürfnisse zu erkennen und dafür Spiel- und Entwicklungsräume zu eröffnen. Im kindlichen Spiel ist das Bauen und Konstruieren eine wichtige Tätigkeit neben anderen - wie der großräumigen Bewegung, dem künstlerischen und musikalischen Experimentieren und Gestalten oder dem Rollenspiel.

Beim Bauen und Konstruieren können die Kinder physikalische Gesetzmäßigkeiten kennen lernen und sie nehmen wahr, dass sie ihre Umwelt (mit-)gestalten können. Sie können mit anderen Kindern etwas bauen oder zerstören und machenso elemenare, maeriale sowie soziale Erfahrungen.

Individuelle Entwicklung beim Bauen und Konstruieren

Die Lust, kleine Türme gezielt umzustoßen, zeigen schon einjährige Kinder. Die Fähigkeit und der Wunsch, sie aufzubauen, entwickeln sich erst später. Kindliche Entwicklung verläuft sehr individuell und dementsprechend zeigen sich auch beim Bauen sehr vielfältige Ausdrucksformen. Trotz dieser Tatsache beschreibt Largo(3) auf der Grundlage seiner Studien einige Entwicklungsschritte kindlicher Bauaktivität. Danach stapeln die Kinder Bauklötze oder andere Gegenstände zunächst vertikal.

 

 



Kinder finden heraus, wie sie bauen müssen, damit ihre Konstruktion nicht umfällt. Mit ca. zwei Jahren beginnen sie mit dem horizontalen Bauen, indem sie Bausteine oder Gleisstücke von Spielzeugbahnen aneinander legen. Wenig später wird das Bauen in vertikaler und horizontaler Ebene verbunden, indem sie z.B. eine Treppe konstruieren. Daraus entwickelt sich zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr die Fähigkeit, die drei Dimensionen des Raumes zu verbinden, wenn z.B. Züge oder Autos nachgebaut werden. Auch wenn Ausprägung und Zeitpunkt dieser Bauaktivitäten bei Kindern variieren, bleibt deren Abfolge gleich.

„Kein Kind baut Türme, wenn es sich nicht vorher mit Behältern und deren Inhalt beschäftigt hat, oder fügt Würfel zu einem Zug zusammen, ohne vorher Türme gebaut zu haben" (Largo 1999, S. 211). Die frühen Objektspiele, bei denen Kinder die Materialien und ihre Eigenschaften erkunden, indem sie z.B. Bauklötze fallen lassen oder sie gegeneinander klopfen, schaffen eine Grundlage für später Bautätigkeiten, bei denen sie mehr oder weniger zielstrebig dreidimensionale Bauwerke herstellen.

Die Bewegungsbaustelle

Kinder sind neugierig, probieren aus und stellen Fragen. Sie lernen über ihre Bewegung und Wahrnehmung. Das Medium, in dem sie sich ausprobieren und ausdrücken, ist das Spiel. Psychomotorische Pädagogik geht von den individuellen Stärken aus und eröffnet für den Primarbereich variationsreiche Bau- und Gestaltungsmöglichkeiten, so dass Kinder diese Stärken ausleben und weiterentwickeln können. Aus den kleinen Bauklötzen werden große Holzbausteine, Schaumstoffblöcke oder Kartons.
Das kleinräumige Bauen und Konstruieren und das großräumige Spiel auf der Bewegungsbaustelle unterscheiden sich bezüglich des Bewegungs-ausmaßes. Gemeinsamkeit und Kontinuität bestehen bezüglich der Gestaltungsfreiheit und der Erfahrungsmöglichkeiten im Umgang mit den Dingen. So lassen sich manche Bauspiele auch in großräumige Aktivitäten umwandeln. Eine Murmelbahn kann mit speziellen Holzbausteinen, in der Sandburg oder mit großen Drainagerohren im Außengelände gebaut werden (vgl. die Praxisbeispiele).






Gestaltung einer Bewegungsbaustelle

In vielen Einrichtungen hat die klassische Bewegungs-baustelle (vgl. Miedzinski(4)) an Bedeutung gewonnen.

Sie eröffnet über das Spiel mit Autoreifen, Schläuchen und Brettern den Bau kleiner Brücken, Wippen und mit weiteren Hilfsmitteln die Konstruktion von Schaukeln und Karussells. Ähnliche Bauaktivitäten sind natürlich auch mit Geräten der Turnhalle möglich. So entstehen aus Kästen, Leitern, Bänken und Matten vielfältige Bewegungslandschaften. Materialien, die großräumige Bewegung ermöglichen, werden bevorzugt, da es vielen Kindern heute an
Schaukel-, Schwing-, Dreh-, Kletter- und Sprung-erfahrungen mangelt.

Bei der Gestaltung einer Bewegungsbaustelle geht es darum, ein hohes Maß an Freiraum zu eröffnen, aber auch dort eindeutige Grenzen zu setzen, wo Kinder sich gefährden. Die Balance zwischen Offenheit und Struktur, zwischen Helfen und Lassen bleibt eine ständige Herausforderung für die Erzieherin, die jeden Tag und im Kontakt mit jedem Kind neu gestaltet wird. In keinem Fall sollten die Kinder belehrt werden, wie sie zu bauen

Literatur:

(1) Rumpf, H.: Wie Kinder sind? Vortrag auf dem Bensberger Symposium des Diözesan-Caritasverbands, Kompakt spezial 6/2004.
(2) Kahl, R.: Das Schwinden der Sinne. Filmreihe: Kindheit heute. Hamburg 1993.
(3) Largo, R. H.: Kinderjahre. Die Individualität des Kindes als erzieherische Herausforderung. München 1999.
(4) Miedzinski, K.: Was beim Bauen passiert und in Bewegung kommt. Bauen und Bewegen im Kinderspiel. In: Praxis der Psychomotorik 4 (1994), S. 197-203.